Jahresbericht 2022 des Fachausschusses Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Vorsitz: Dr. Sigrid Gronbach, Diakonie Deutschland

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie spielten auch 2022 noch eine große Rolle, was sich u.a. in erneuten Anpassungen des Infektionsschutzgesetzes und der Coronavirus-Testverordnung zeigte. Die Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht stellte insbesondere auch aufgrund der unklaren Vorgaben in Bezug auf die Leistungserbringerstruktur im Bereich Teilhabe eine Herausforderung dar.

Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine stellten die politisch Verantwortlichen und die Wohlfahrtsverbände vor zusätzliche Herausforderungen.

Um den Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe für geflüchtete Ukrainer:innen und andere Menschen mit Behinderung und Fluchterfahrung zu verbessern, setzte sich die BAGFW für die Abschaffung des § 100 SGB IX ein.

Auch die gravierend steigenden Energie-, Lebenshaltungs- und Sachmittelkosten beschäftigten den Fachausschuss.

Soziale Teilhabe

In Folge der Neuausschreibung und Neuvergabe der EUTB-Beratungsstellen für die nächste Förderperiode haben sich regionale Monopolstrukturen gebildet. Es mussten einige etablierte, zielgruppennahe, qualitativ hochwertige Beratungsangebote schließen, die sich sehr bewährt hatten. Anlässlich dessen hat sich die BAGFW mit einem Schreiben an Bundesminister Heil, den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Jürgen Dusel, und die Staatsministerin Alabali-Radovan gewandt. Die BAGFW plädierte dafür, die Auswahl der künftig zu fördernden Beratungsstellen weniger an regionalen Auswahlkriterien und mehr an qualitativen Kriterien auszurichten, um eine bestmöglich auf die individuellen Bedarfe einer Person zugeschnittene Beratung zu ermöglichen.

Mit den teilhabepolitischen Sprecher:innen der demokratischen Bundestagsfraktionen und mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen erörterte der Fachausschuss die teilhabepolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrages sowie die schleppende und regional sehr unterschiedliche Umsetzung der Personenzentrierung in der Eingliederungshilfe.

Berufliche Teilhabe

Der Koalitionsvertrag formuliert ehrgeizige teilhabepolitische Vorhaben. Eine erste Initiative hat die Bundesregierung im Bereich der beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ergriffen. Mit dem Referentenentwurf zum „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ hat das BMAS im November mehrere Maßnahmen angekündigt, die zu mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt führen sollen. Die BAGFW unterstützt die Zielsetzung, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben zu stärken, ihre sozialversicherungspflichtige Erwerbsbeteiligung zu fördern und zu erhalten. Sie begrüßt u.a. die Abschaffung der Deckelung des Lohnkostenzuschusses beim Budget für Arbeit, die Einführung einer 4. Staffel in der Ausgleichsabgabe für beschäftigungspflichtige Arbeitgeber, die keinen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen und die Streichung des Vermittlungsauftrags für Inklusionsbetriebe.

In ihrer Stellungnahme formuliert die BAGFW weitergehende Forderungen, denn Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen grundsätzlich so ausgestaltet werden, dass sie den Menschen mit Behinderung zum Ausgangspunkt nehmen. Damit dies gelingt, muss der Arbeitsmarkt umfassend neu gedacht werden.

Die BAGFW schlägt daher vor, die im parlamentarischen Raum angedachte Enquete-Kommission zur Umsetzung der UN BRK einzurichten und zu nutzen, um unter Mitarbeit von Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände, Vertreter:innen inklusionserfahrener Organisationen aus der Praxis, Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Wohlfahrtsverbänden sowie Schwerbehindertenvertreter:innen und Werkstatträt:innen zu erarbeiten, wie sich der in weiten Teilen exklusive Arbeitsmarkt zu einem inklusiven Arbeitsmarkt mit gleichwertigen Zugangsmöglichkeiten für alle Menschen entwickeln kann. Erforderlich ist ein Paradigmenwechsel hin zu einem inklusiven und humanen Arbeitsmarkt.

Der Fachausschuss hat sich auch mit einer Stellungnahme an der Überarbeitung der Gemeinsamen Empfehlung „Integrationsfachdienste“ beteiligt.

Infektionsschutzgesetz

Mit dem „Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19“ ist eine Ausweitung des Aufgabenbereichs der KRINKO (Kommission für Infektionsprävention beim RKI) auf den Pflegebereich und auf den Bereich der Eingliederungshilfe erfolgt. Die Kommission trägt künftig den Namen „Kommission für Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen und Einrichtungen und Unternehmen der Pflege sowie Eingliederungshilfe“ (KRINKO). Perspektivisch sollen Empfehlungen zur Prävention vor Infektionen in Einrichtungen und Diensten der Eingliederungshilfe erarbeitet werden.

Unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums wurde Ende August, noch bevor die Mitglieder der „erweiterten KRINKO" benannt werden konnten, kurzfristig eine beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) angesiedelte „Ad-hoc-Arbeitsgruppe zur Infektionsprävention Eingliederungshilfe“ eingerichtet, an der Vertreter:innen der BAGFW mitgewirkt haben. Ziel dieser Arbeitsgruppe war es, für den Herbst/Winter 2023/2024 Empfehlungen zur Prävention vor COVID-19 für Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe zu erarbeiten, die gleichzeitig das Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe explizit berücksichtigen.

Neben Vertreter:innen des BMG, des BMAS und des RKI aus dem Bereich des Infektionsschutzes, waren auch Vertreter:innen aus dem Bereich der Eingliederungshilfe benannt worden. Für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege waren dies: Carola Pohlen (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V.), Cordula Schuh (AWO Bundesverband e. V.), Dr. med. M.d.P. Maria Andrino (Gesundheitszentrum Franz Sales Haus) & Andreas Rieß (Josefs-Gesellschaft gGmbH).

Ausblick

Für Mitte 2023 wird der Abschlussbericht der „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ erwartet. In dem Vorhaben wird untersucht, wie das Entgeltsystem in den WfbM und Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für Beschäftigte in WfbM verbessert werden können. Die BAGFW ist im Steuerungskreis des Forschungsprojektes vertreten. Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse des Abschlussberichtes, die die Bundesregierung umsetzen will, werden sich die politischen Debatten um die Reform der Werkstattentgelte noch einmal intensivieren.

Im November fand die konstituierende Sitzung der Arbeitsgruppe „Inklusives SGB VIII“ des BMFSFJ statt, in dem auch Mitglieder des Fachausschusses Teilhabe von Menschen mit Behinderungen vertreten sind. Die AG wird sich in fünf Sitzungen mit Gestaltungsoptionen der verschiedenen Regelungsbereiche der Inklusiven Lösung, also der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit Behinderungen unter dem Dach des SGB VIII, befassen. Nach Abschluss dieser Beteiligungsphase (Ende 2023) wird ein Bericht als eine Grundlage für die Konzeption eines Gesetzesentwurfs vorgelegt.