Soziale Teilhabe findet vor Ort statt, in den Städten, Gemeinden und Kreisen. Das Themenforum „Integration vor Ort“ trägt der Tatsache Rechnung, dass die Strukturen, Bedingungen und Dynamiken der Migrationsgesellschaft im Sozialraum eine prägende Rolle für eine erfolgreiche Eingliederung ins Gemeinwesen spielen. Im Kontext der Einwanderungsgesellschaft sollten die Kommunen die Spielräume für eine partizipative Integrationspolitik aktiv gestaltend und steuernd nutzen.
Die Freie Wohlfahrtspflege ist korporative und kooperative Mitgestalterin des Sozialstaats. Sie ist in allen Landkreisen und größeren Kommunen vertreten. Vor Ort ist sie mit ihren einzelnen Einrichtungen, vielfach auch mit kommunalen bzw. regionalen Arbeitsgemeinschaften und Kreisverbänden anzutreffen. Sie ist als ein tragender Teil in die kommunale Daseinsvorsorge eingebunden. Ihre Träger und Einrichtungen sind multifunktionale Organisationen, die nicht nur breit aufgestellt soziale und gesundheitsbezogene Dienstleistungen erbringen, sondern auch die Interessen sozial benachteiligter Menschen sozialanwaltschaftlich vertreten und Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements bieten.
Die Freie Wohlfahrtspflege hält nicht nur ihre sozialen und gesundheitsbezogenen Dienstleistungen unterschiedslos für alle Menschen im Sozialraum vor, sondern betreibt darüber hinaus zahlreiche bundes-, landes- oder kommunal bezuschusste oder durch Eigenmittel finanzierte Migrationsfachdienste, deren Inanspruchnahme freiwillig und kostenlos ist. Diese bieten rechtliche und (psycho-)soziale Beratung, Unterstützung und Begleitung. Migrationsfachdienste der Freien Wohlfahrtspflege finden sich in allen Landkreisen und größeren Städten. Sie sind anerkannter Teil des Gemeinwesens und in Netzwerken mit anderen spezialisierten Regeldiensten und Angeboten verbunden.
Nachfolgend sind Empfehlungenformuliert, wie die Zusammenarbeit von freien und kommunalen Akteuren vor Ort gut gelingen kann, so dass sich öffentliche Leistungen und die Tätigkeit der Freien Wohlfahrtspflege zum Wohle der Leistungsberechtigten wirksam ergänzen. Die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ist dabei von entscheidender Bedeutung.[1]
Die Darstellung orientiert sich an den im Themenforum diskutierten sechs Handlungsfeldern.
Flexible und zukunftsfähige Strukturen und Steuerungsinstrumente etablieren
In der demokratisch verfassten Stadt- bzw. dörflichen Gesellschaft sollten grundsätzliche Fragen, die die Steuerung von Zukunft und Entwicklung des örtlichen Gemeinwesens betreffen, nicht nur aus der Perspektive des Verwaltungshandelns beschrieben werden.
Kommunen funktionieren wesentlich aufgrund bürgerschaftlichen Engagements und örtlicher Zivilgesellschaft – einschließlich von Migrantenorganisationen – und des guten Zusammenspiels der Kommunalverwaltung mit ihnen. Die Verwaltungsplanungen und -entscheidungen auf dem Weg zur weltoffenen Kommune benötigen Partizipation und brauchen die Unterstützung von Akteuren außerhalb der Verwaltung. Strittige Fragen müssen im Diskurs der Stadtgesellschaft ausdiskutiert und zivilgesellschaftliche Akteure dabei einbezogen werden. Dann lassen sich eine breite Akzeptanz und eine gemeinsame Verantwortung bei der Umsetzung sehr viel besser erreichen.
Beispielsweise unterstützen freie Träger und freiwillig Engagierte Geflüchtete beim Auszug aus Gemeinschaftsunterkünften sowie andere Eingewanderte bei der Wohnungssuche. Sie fördern Flüchtlingskinder mit Hausaufgabenhilfen und Angeboten der Schulsozialarbeit. Freie Träger stehen als Partner zur Verfügung, um Geflüchteten und Neuzugewanderten den Eintritt in Ausbildung und Erwerbsleben zu ermöglichen.
- Freie Träger wie die Wohlfahrtspflege sollten, wo das nicht schon geschieht, in Aufnahmeprogramme von vornherein aktiv einbezogen werden, zum Beispiel über „Runde Tische“ aller gesellschaftlichen Akteure.
- Dort, wo im Rahmen der Erbringung von freiwilligen kommunalen Aufgaben Angebote der Integrationsbegleitung ausgebaut werden, treten sie stellenweise in Konkurrenz zu den schon bestehenden Angeboten freier Träger. Unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips sollten Regelungen für eine strukturierte und effektive Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen, frei-gemeinnützigen und den migrantischen Organisationen der Integrationsarbeit entwickelt werden.
- Freie Träger der Wohlfahrtspflege sollten bei der Diskussion über die Verstetigung von Projekten mit Geflüchteten von Anfang an berücksichtigt und ihre bisherigen Erfahrungen und ihre Expertise in die weiteren Überlegungen eingebunden werden.
Konzeptionelle Grundlagen für kommunale Integrationspolitik/-praxis festigen
Die Freie Wohlfahrtspflege unterstützt die Kommunen in ihren Konzepten zur sozialen Eingliederung in der Einwanderungsgesellschaft und bringt sich diskursiv, unter Nutzung ihrer langjährigen Expertise aus ihrem Wirken auch auf Landes- und Bundesebene, in das kommunale Geschehen ein.
Die vielfältigen Kooperationsansprüche im Bereich Integration erfordern eine lokale Koordinierung und Federführung. Dabei sollte die Einbeziehung der freien Träger in partizipativer Weise und unter dem Subsidiaritätsprinzip zur Geltung kommen. Folgende Elemente bieten sich für die Aufnahme in solche Konzepte u.a. an:
- Dort, wo es örtliche Integrationskonzepte gibt, sollte die Freie Wohlfahrtspflege, sofern noch nicht geschehen, eingebunden werden. Integrationskonzepte sollten gemeinsam begleitet, ausgewertet und weiterentwickelt werden.
- Die Träger der Freien Wohlfahrtspflege sollten, wo das noch nicht geschehen ist, an Runden Tischen beteiligt werden, um gemeinsam mit anderen Akteuren sozialräumliche Ansätze verfolgen zu können. Bei der Weiterentwicklung oder Neueinrichtung von Migrationsfachdiensten wie z. B. Integrationsmanager/-innen oder Ehrenamtlichen-Netzwerken sollten Synergien zwischen diesen und den Migrationsfachdiensten der Freien Wohlfahrtspflege hergestellt werden, um Vernetzung und Austausch zu stärken.
Ressortübergreifende Zusammenarbeit und Vernetzung in Kommunen optimieren
Eine lokale Koordinierung kann u.a. in folgenden Bereichen etabliert und verstärkt werden:
- Die Intensivierung der Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Diensten der Freien Wohlfahrtspflege und den Jobcentern bergen Potentiale für die bessere Verzahnung aller Angebote zur Unterstützung der Arbeitsmarktintegration. Kooperationsvereinbarungen zwischen Diensten der Freien Wohlfahrtspflege und den Jobcentern, wie es sie in manchen Kommunen schon gibt, können dafür eine gemeinsame Arbeitsgrundlage schaffen.
- Mit Blick auf die Heterogenität der Zielgruppe ist ein Deutschsprachkursangebot von Vorteil, das im Hinblick auf die lokalen Bedarfe flexibel gestaltbar ist und damit schnell auf Änderungen reagieren kann. Wenn die Kommunen die Koordinierung der Sprachkurse selbst verantworten, können sie besser mit eigenen oder von den Ländern verantworteten Angeboten oder Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration sowie mit weiteren Akteuren der Integrationsarbeit wie den Migrationsberatungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege verzahnt werden.[2] Deshalb sollte die Verteilung von Teilnehmenden in die Kurse federführend in der Zuständigkeit kommunaler und freier Träger liegen, und bereits erprobte und leistungsfähige kommunale Koordinierungsstrukturen nutzen.
- Menschen aus anderen EU-Staaten, die infolge prekärer Beschäftigungsverhältnisse unterstützungsbedürftig werden, sind auf fachübergreifende Ansätze und kommunale Konzepte zur Überwindung von Prekarisierung angewiesen, um aus einem Teufelskreis von Mittellosigkeit, Wohnungsverlust, Krankheit und Rechtlosigkeit wieder herauszukommen. Die freien Träger erbringen durch Angebote wie Schuldnerberatung, Wohnungslosenhilfe oder MBE Leistungen, die die Folgen der Prekarisierung und von Leistungsausschlüssen abfedern und somit die Kommunen entlasten. Dabei geht es um die Bereitstellung von sozialem Wohnraum, um Beratung und Begleitung in ordnungsrechtlicher Unterbringung, um niedrigschwellige Beratungsangebote und um Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Bei der Unterbringung von Wohnungslosen sollte die kommunale Zusammenarbeit mit Trägern der Freien Wohlfahrtspflege verstärkt werden. Die polizeirechtliche Verpflichtung zur Beseitigung von Obdachlosigkeit gilt auch für Menschen ohne Anspruch auf Sozialleistungen.
- Kommunale Stellen und Träger der freien Wohlfahrtspflege sollten stärker kooperieren, um in der kommunalen Daseinsvorsorge die interkulturelle Öffnung voranbringen.
Informationsgrundlagen und Wissenstransfer innerhalb und zwischen Kommunen verbessern
Bei der Verknüpfung und Optimierung vorhandener Instrumente von Sozial- und Bildungs- sowie Integrationsmonitoring sollten das Wissen und die Fachlichkeit, die die Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege aufgrund ihrer Praxis- und Alltagserfahrung einzubringen haben, genutzt werden.
- Soziale Arbeit ist auf das Vertrauen der sie Nutzenden angewiesen. Die Sinnhaftigkeit und Rechtfertigung eines kommunalen individuellen und langfristigen Monitorings erschließen sich nicht, auch nicht außerhalb der Beratungsarbeit. Aufwand, freiheitlich-demokratische Legitimation und Ertrag stehen kaum in einem akzeptablen Verhältnis.
- Case Management hat die Aufgabe, Förderlücken in Versorgungsthemen zu identifizieren. Freie Träger können dieses Wissen zu Förderlücken in kommunale Strukturen einspielen.
Kommunale Entscheidungsträger stärken
Es gehört es zu den Forderungen und Aufgaben der Freien Wohlfahrtspflege, stabile rechtliche Rahmenbedingungen für Förderprogramme von Bund und Ländern für Demokratie und gegen Rassismus zu schaffen, damit kommunalen Entscheidungsträgern stärkere Unterstützungsstrukturen vor Ort zur Seite stehen.
- Eine rechtsextremistische Bedrohungssituation besteht nicht nur für kommunale Entscheidungstragende, sondern auch für Bürgerinnen und Bürger, eingewanderte wie ortsansässige, die rassistischen Zuschreibungen ausgesetzt sind. Sie müssen ausdrücklich in das kommunale „Wir“ und in Schutzstrategien einbezogen werden.
- Rassistische Diskriminierung ist als Herausforderung in kommunalen Strategien sowie im Ergebnispapier dieses Themenforums ausdrücklich zu benennen. Darüber hinaus müssen freie und kommunale Träger zur Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung gemeinsam Strategien entwickeln. Die Begrifflichkeit der Fremdenfeindlichkeit ist ungeeignet, denn sie grenzt diejenigen, die in das „Wir“ eingegliedert werden sollen, aus. Gesellschaftlicher Zusammenhalt und die Weltoffene Kommune sollten als Zielgrößen benannt werden.
Kommunale Narrative entwickeln und Dialoge fördern
Aufgrund ihrer Erfahrungen und Einblicke in den Lebensalltag der verschiedenen Bevölkerungsgruppen versteht die Freie Wohlfahrtspflege sich als Teil der Zivilgesellschaft, die als Partner die kommunalen Akteure bei ihren Aufgaben für den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.
- Gerade in diesem Handlungsfeld kommt es auf das gute Zusammenspiel kommunaler Stellen, Wohlfahrtsorganisationen, Migrantenorganisationen, Religionsgemeinschaften, weiterer zivilgesellschaftlicher Akteure sowie freiwillig Engagierter (Alteingesessene und Eingewanderte) entscheidend an. Sie leisten Beiträge zur Erzählung eines lokalen „Wir“, indem sie inkludierende Dialog- und Partizipationsmöglichkeiten liefern. Seit vielen Jahren bekannt und bewährt sind gemeinsam getragene Formate wie die Internationalen Wochen gegen Rassismus im Frühjahr und die Interkulturelle Woche im Herbst.
- Quartiersbezogen lässt sich der gesellschaftliche Zusammenhalt mit Gemeinwesenarbeit stärken, was an vielen Orten auch im Rahmen der „Sozialen Stadt“ geschieht. Die seit vielen Jahren von freien Trägern durchgeführten gemeinwesenorientierten Projekte sollten fortgesetzt und ausgebaut werden.
[1] Der Sozialraum als Ort der Teilhabe - Standortbestimmung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Berlin 31. März 2015, https://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/stellungnahmen/positionen/detail/der-sozialraum-als-ort-der-teilhabe-standortbestimmung-der-bundesarbeitsgemeinschaft-der-freien-wohlfahrtspflege.
[2] Vgl. Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAGFW) für eine Neugestaltung des Integrationskurssystems - Chancen und Perspektiven, Berlin 2. Juli 2019.