Am 6. und 7. Mai 2013 fand das von der Europäischen Kommission organisierte Demographie Forum 2013 statt. Die zweitägige Konferenz widmete sich dem Thema: „In Europas demographische Zukunft investieren“. Die Konferenzergebnisse werden der EU- Kommission vorgelegt.
Der für Beschäftigung, Soziales und Integration zuständige Kommissar László Andor eröffnete die Konferenz, indem er auf die durch den demographischen Wandel auf die EU zukommenden Herausforderungen hinwies. Kommissar Andor schlug folgende Lösungsansätze vor, um die Herausforderungen des demographischen Wandels zu meistern:
1.) Ältere Menschen müssten beim aktiven Altern unterstützt werden. Wichtige Instrumente seien u.a. der 2012 entwickelte ‚Active Ageing Index‘.
2.) Die Jugendarbeitslosigkeit müsse bekämpft werden, u.a. durch das Instrument der
Jugendgarantie, die Teil des Jugendbeschäftigungspakets ist.
3.) Eine bessere Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben müsse erarbeitet werden. Sinnvoll seien dafür der Ausbau von Betreuungsplätzen und eine EU-weite Kampagne.
4.) Die Mobilität müsse weiter gefördert werden. Abwanderungsregionen sollten dabei durch die Strukturfondsfonds unterstützt werden.
Für die Bewältigung der Herausforderungen würden das Sozialinvestitionspaket und die
Strukturfonds die nationalen Politiken ergänzen und unterstützen.
Francesco Billari von der Universität Oxford stellte anschließend Trends in der demographischen und gesellschaftlichen Entwicklung der letzten zwanzig Jahren dar. Demnach habe es eine starke Emanzipation der Frauen gegeben, so dass Frauen gut ausgebildet und berufstätig seien und Familien immer später gegründet würden. Die Vorstellung, dass arme Eltern mehr Kinder bekommen, sei aber so nicht mehr haltbar, denn gerade in den Industrienationen steige die Geburtenrate reicher Familien wieder an.
Monika Queisser von der OECD betonte, dass die europäischen Wohlfahrtssysteme nur durch eine verstärkte Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt erhalten werden könnten.
Dazu müssten jedoch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleistet, Steueranreize für Zweitverdiener geschaffen und Frauen auch zu ‚männlichen‘ Berufen motiviert werden.
Ein praktisches Beispiel aus der Politik stellte der niederländische Innenminister Marcus Frequin vor. In Regionen mit einer schrumpfenden Bevölkerung stütze sich die niederländische Politik auf drei Säulen: den Abbau von ungenutzten Häusern, der Umwidmung von Gebäuden für multifunktionale Zwecke und die grenzüberschreitende Anwerbung von Arbeitskräften. Die zurückbleibenden Menschen würden durch gezielte Berufstrainings und Netzwerke beim aktiven Altern unterstützt. Freie Landflächen würden z.B. zur Energiegewinnung durch Windkraft genutzt.
In vier Arbeitsgruppen wurden anschließend spezifische Themen diskutiert. In der Arbeitsgruppe 1 „Die Möglichkeiten der Jugend unterstützen“ stellte Thomas Sobotka vom Wiener Demographie-Institut heraus, dass gerade junge Menschen die Verlierer der aktuellen Wirtschaftskrise seien. Wegen prekärer Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitslosigkeit und hoher Immobilienpreise heirateten junge Paare immer später und bekämen immer weniger Kinder. Daher müsse die Flexibilität des Arbeitsmarktes erhöht, das Ungleichgewicht zwischen staatlichen Ausgaben für junge und ältere Menschen reduziert und Anreize zur Familiengründung geschaffen werden. Jungen Menschen, die zeitweise arbeitslos sind, müsse die Gelegenheit gegeben werden, diese Zeit zur Erziehung ihrer Kinder zu nutzen.
Pavel Trantina legte die Meinung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) zum Jugendbeschäftigungspaket der Europäischen Kommission dar. Mit Bezug auf die Jugendgarantie werde gefordert, dass Unterstützungsmaßnahmen sofort mit der Arbeitslosmeldung beginnen und das Alter für die Garantie auf 30 Jahre heraufgesetzt wird. Beim Qualitätsrahmen für Praktika wolle der EWSA, dass Praktika außerhalb der Ausbildung als sozialversicherungspflichtige Arbeit gelten und Mindestqualitätsstandards eingeführt werden. In der Europäischen Ausbildungsallianz sollten duale Ausbildungssysteme weiter gefördert werden. Zur Stärkung der Mobilität müsse die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen verbessert werden.
Matti Mäkelä vom finnischen Bildungsministerium erklärte das finnische Modell der Jugendgarantie, für die eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Schularten, der Wirtschaft und den staatlichen Institutionen wichtig sei.
In der anschließenden Diskussion wurde kritisiert, dass die Jugendgarantie allein nicht ausreiche, sondern auch familien- oder sozialpolitische Maßnahmen oder ein Bürgereinkommen nötig seien.
In der Arbeitsgruppe 2 „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern“ wurde darauf hingewiesen, dass preiswerte, qualitativ hochwertige und lokal verfügbare Sozial- dienstleistungen entscheidend seien, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. Oft würden gerade schlecht bezahlte und wenig qualifizierte Frauen dem Arbeitsmarkt fern bleiben, weil die oben genannten Kriterien nicht erfüllt seien. Außerdem müssten die Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt familienfreundlicher gestaltet werden. Väter oder Mütter würden keine oder kaum Auszeiten zur Betreuung der Kinder nehmen oder gar den Kinderwunsch einschränken, da prekäre Beschäftigungsverhältnisse zugenommen hätten und mit einer Auszeit oftmals Karrierenachteile verbunden seien. Gerade das hohe Potenzial von gut ausgebildeten nicht-erwerbstätigen Frauen sei auf Grund des demographischen Wandels für den Arbeitsmarkt und die ganze Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung.
In der Arbeitsgruppe 3 „Menschen dazu befähigen, länger aktiv zu bleiben“ wurde betont, dass lebenslanges Lernen existentiell sei, um ein aktives Altern zu ermöglichen. Außerdem müssten generationenübergreifende Teams gebildet werden, um den Wissenstransfer sicherzustellen. Oft sei es für Ältere bereichernd mit jüngeren Menschen zu arbeiten und Berufsanfänger/innen könnten im Gegenzug vom Erfahrungsschatz der Älteren profitieren. Darüber hinaus bräuchten ältere Arbeitnehmer/innen attraktive Übergangsmodelle. Eine Vollzeitbeschäftigung bis zum Renteneintrittsalter sei nicht mehr zeitgemäß und würde die Realität nicht abbilden. Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeiten sowie zusätzliche Anreizsysteme würden Arbeitnehmer/innen befähigen, bis zum Rentenalter und sogar darüber hinaus mit Engagement und Freude zu arbeiten. Die Balance zwischen Arbeit und Freizeit sei dabei außerdem entscheidend.
In der Arbeitsgruppe 4 „Erfolgreiche Inklusion von Migranten der zweiten Generation“ stellte Kirk Scott von der Universität Lund und Stockholm die spezielle Situation von Einwanderern der zweiten Generation in Schweden dar. Alle Gruppen von Einwanderern hätten im Gesamtvergleich ein höheres Risiko, das Schulziel nicht zu erreichen. Werde diese Gruppe jedoch mit einer Kontrollgruppe aus dem gleichen Bildungsniveau verglichen, relativierten sich diese Ergebnisse wieder. Bei der Diskussion solle daher nicht der ethnische Hintergrund, sondern die soziale Herkunft der Jugendlichen beachtet werden.
Ähnlich argumentierte auch Georges Lemaitre, der für die OECD gearbeitet hat. Demnach entscheide nicht der ethnische Hintergrund über eine erfolgreiche Integration, sondern die Konzentration von benachteiligten Menschen in einer bestimmten Gegend, einem Land oder einer Schulklasse. Daher müsse vor allem die politische und gesellschaftliche Segregation bekämpft werden.
Die südeuropäische Perspektive stellte Ferruccio Pastore vom Internationalen und Europäischen Forum für Migrationsforschung (FIERI) vor. Durch die Krise in Südeuropa stünden eingewanderte und einheimische Jugendliche verstärkt im Wettbewerb um Arbeitsplätze. Daher müsse vor allem die Arbeitsmarktsituation verbessert und die Mobilität erhöht werden. In der Diskussion wurde betont, dass noch zu wenig über Migration gewusst wird. Zudem kämen Einwanderer häufig ohne ihre Familien, was die Integration erschwere.
Plenum: Berichterstattung aus den Arbeitsgruppen
Miguel Angel Malo Ocana schlussfolgerte aus der Arbeitsgruppe 1, dass finanzielle Ressourcen umorganisiert und makroökonomische Politiken erneuert werden müssten, um die Jugendarbeitslosigkeit und die prekäre Situation der jungen Menschen zu bekämpfen. Über die Arbeit der Arbeitsgruppe 2 berichtete Agnés Uhereczky von COFACE. Grundprinzip für eine ausgeglichene Work-Life-Balance sei die Gleichberechtigung der Geschlechter. Freiwillige Halbzeitstellen seien eine Möglichkeit, ebenso wie ein ausgleichendes Steuersystem und gute Betreuungsmöglichkeiten für Kinder oder Familienangehörige. Die Situation in den Mitgliedstaaten sei jedoch sehr verschieden und eine engere Zusammenarbeit sei in Zukunft nötig.
Bernard Casey stellte Möglichkeiten des aktiven Alterns aus der Arbeitsgruppe 3 vor. Die Gruppe der älteren Arbeitskräfte sei sehr heterogen, Alter sei aber kein Problem für die Produktivität. Er betonte die Wichtigkeit des lebenslangen Lernens und der Mobilität auch für ältere Arbeitnehmer.
Über die Integration von Einwanderern der zweiten Generation berichtete Rainer Münz von der Ersten Bank. Er stellte heraus, dass der Risikofaktor für schulisches Versagen nicht die ethnische Herkunft, sondern die Bildung der Eltern und die Konzentration von benachteiligten Jugendlichen in einer Schulklasse sei. Daher müsse die Gesellschaft durchmischter werden und das Bildungssystem effizienter gestaltet werden.
Der zweite Tag der Konferenz begann mit einer Debatte über stärker vom demographischen Wandel betroffene Regionen. Gallina Andronova Vincelette von der Weltbank stellte eine Studie über die neuen EU-Mitgliedstaaten und Kroatien (EU-11) vor. Laut dieser Studie seien die EU-11 stärker von einer alternden Bevölkerung betroffen als die restlichen EU-Länder
(EU-17), die Arbeitsmarkbeteiligung sei in den letzten zehn Jahren zurückgegangen. Daher müsse parallel die Arbeitsmarktbeteiligung und das Bildungsniveau der Bevölkerung erhöht werden.
Birgit Garbe Emden von der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. präsentierte eine Studie zu internationaler Migration und Stadt-Land-Wanderungen innerhalb eines Staates. Vor allem junge, gut ausgebildete Menschen verließen die ländlichen Regionen und zögen in die Städte. Zurückgelassen würden die Alten und Kinder. Die europäischen Fonds sollten sich daher besonders auf benachteiligte Regionen konzentrieren, Bildungsangebote vor Ort sollten ausgebaut werden und lokale und regionale Partnerschaften gegründet werden.
Zornitsa Roussinova erläuterte die Situation in Bulgarien. Da sich das Ungleichgewicht zwischen den Regionen vergrößere, müssten gute nationale Strategien entwickelt werden. Bulgarien verbinde dabei nationale Finanzierungen mit den Strukturfonds. Es würden vor allem Familienprojekte und eine bessere Ausbildung gefördert.
Das niederländische Beispiel stellte Ministerin Marianne Besselink vor. Da in der Peripherie die Bevölkerung stark abnehme, müssten Häuser abgerissen und Schulen zusammengelegt werden. Vor allem qualitative Verbesserungen würden angesteuert, durch bessere staatliche Unterstützung in lokale Projekte, Transportmöglichkeiten und neue Technologien.
In der Diskussion wurde das Thema der zurückgelassenen Kinder erneut aufgegriffen. Es müsse die Möglichkeit geschaffen werden, dass Kinder mit ihren Müttern mitgehen können.
In der anschließenden Debatte „In Europas demographische Zukunft investieren – die Unterstützung durch das Sozialinvestitionspaket“ stellte Nick Costello von der Generaldirektion Beschäftigung das Sozialinvestitionspaket vor. Soziale Investitionen bereiteten die Menschen auf die Risiken des Lebens vor. Dabei gebe es drei Prioritäten: Sozialleistungen einfacher und effizienter zu gestalten, die Menschen gezielter und für eine bestimmte Zeit zu unterstützen und die Maßnahmen an bestimmte Lebensumstände anzupassen.
Für den Ausschuss für Sozialschutz brachte John Bohan Anmerkungen zum Sozialinvestitionspaket an. Der Ausschuss begrüße den Paradigmenwechsel des Paketes, nun müssten die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen treffen. Unterstützt würden diese durch EU-Instrumente, wie z.B. die Strukturfonds und mögliche zukünftige Europäische Fonds für Soziales Unternehmertum oder gar Social Impact Bonds.
Eine deutsche Perspektive brachte der sächsische Staatsminister Johannes Beermann ein. In Sachsen sei die Bevölkerung nach der Wiedervereinigung stark geschrumpft, durch gezielte Maßnahmen sei dieser Trend jedoch gestoppt worden. Eckpunkte der Politik stellten
eine defensive Haushaltspolitik, um die Pro-Kopf-Verschuldung gering zu halten, und intensive Investitionen in Bildung dar. Die Potentiale aller Altersgruppen würden ausgeschöpft und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sichergestellt.
Weitere Informationen bietet die Homepage des Demographie-Forums.